Potsdamer Neuste Nachrichten 17.12.2010

Wodka gehört noch immer dazu

Die Potsdamer Band 44 Leningrad wird 20 und feiert heute in bewährter Tradition im Waschhaus.
Von Dirk Becker

Da sind diese Ringe an den Händen von Ulrike Eisenreich. Zwei silberne Ringe. „Das sind die Ringe meiner beiden Familien“, sagt Ulrike Eisenreich.
Der eine an der rechten Hand ist ihr Ehering. Der an der linken Hand, schmaler und mit Schriftzeichen graviert, ihr Bandring. Vor ein paar Jahren hat sie ihn nach einem Konzert von einer Russin geschenkt bekommen. „Das ist dort wohl so üblich“, sagt sie. Was aber in kyrillischen Buchstaben auf diesem Ring steht, weiß Ulrike Eisenreich bis heute nicht. Sie hat es nicht übersetzen lassen. Ein kleines Geheimnis, das es zu bewahren gilt.


Ulrike Eisenreich hat auf beide Ringe gezeigt als Antwort auf die Frage, wie wichtig ihr die Band 44 Leningrad nach all den Jahren noch sei. Nicht einfach nur Band, sondern Familie, obwohl 44 Leningrad seit nunmehr 20 Jahren immer noch als Spaß- und Freizeitunternehmen unterwegs sind. Aber das durchaus mit professionellen Ansprüchen. Die Musiker um Sängerin und Akkordeonistin Ulrike Eisenreich, Künstlername Ullli, mit drei L, haben miterlebt wie manche Bands, die früher bei ihnen im Vorprogramm spielten, Musik zu ihrem Beruf gemacht haben und damit auch erfolgreich wurden. „Da ist es auch schon vorgekommen, dass wir dann irgendwann bei denen als Vorband aufgetreten sind“, erzählt Ulrike Eisenreich. Es klingt kein Neid oder Frust mit, wenn sie davon berichtet. Eher so etwas wie bescheidene Genugtuung, nach all den Jahren immer noch regelmäßig auf die Bühne zu gehen und vor ausgelassenem Publikum spielen zu können.


Aber trotzdem, wie fühlt man sich nach 20 Jahren 44 Leningrad?
Ulrike Eisenreichs Blick wird ernst. „Alt“, antwortet sie, dabei das A in gespielter Verzweiflung gedehnt. Dann lacht sie.
20 Jahre 44 Leningrad, das sind 20 Jahre „Russian Speed Folk meets Wodka to go“, wie es so treffend auf der bandeigenen Internetseite heißt. Und am heutigen Samstag wird aus diesem Anlass entsprechend ausgelassen im Waschhaus gefeiert. Ein Ort, den 44 Leningrad all die Jahre immer wieder für ihre Konzerte besucht haben. Doch angefangen hat es ein paar Straßen weiter, mitten in Potsdams Innenstadt.
Dort in der „kulturfabrik“ in der Elfleinstraße gaben Ulrike Eisenreich, Thilo Theo Finke, Silvio Hoppe und Yeti ihr erstes gemeinsames Konzert. Damals noch namenlos. Denn hier waren vier Musikbegeisterte zusammengekommen, die ihre Liebe zur russischen Folklore mit Ska-Rhythmen, Punk und allerlei anderem treibenden Musikzeugs verfeinerten. So entstand ein Mischung, die jede Partylaune befeuert und selbst dem Trinkfesten Schweißperlen auf die Stirn treibt. Gesungen wurde und wird selbstverständlich fast ausschließlich in russischer Sprache.
„Nach dem Konzert wollte man uns für drei weitere Veranstaltungen buchen“, sagt Ulrike Eisenreich. Darum musste ein Bandname her. Zur Auswahl standen „Greeting from cold Omsk“ und „44 Leningrad“. Die Entscheidung fiel schnell. 44 Leningrad – gelesen Four for Leningrad, im Deutschen 4 für Leningrad – war einfach eingängiger und prägnanter.


Zu ihrem 20. Geburtstag haben sich die Musiker von 44 Leningrad ein besonderes Geschenk gemacht. Sozusagen ein Best-of-Album mit 18 Titeln aus der Bandgeschichte, schön chronologisch geordnet. Denn Ordnung muss schließlich sein. Los geht es mit „Russischer Wodka“. Und spätestens beim dritten Lied mit dem Titel „Natascha“ wird Jedem klar sein, hier liegt ein kleiner Juwel, gefüllt mit herrlichsten Trinkliedern, die man selbst mit wodkaschwerer Zunge noch laut und fröhlich mitgrölen kann: „Komm Natascha küss mich / Komm Natascha küss mich / die ganze Nacht / Komm Natascha küss mich / Komm Natascha küss mich, bis der Morgen erwacht.“ Es braucht keiner weiteren Erklärung, dass es bei diesem treibenden Russian Speed Folk natürlich nicht allein beim Küssen bleibt.


Diese Vorliebe für die russische Musik und Sprache verwundert dann doch, vor allem wenn Ulrike Eisenreich erzählt, dass sie das Russische in ihrer Schulzeit in der DDR regelrecht übergestülpt bekommen hat. „Aber wir haben dann einfach da weitergemacht, wo wir 1989 aufgehört haben.“ Dieses Mal frei von jeglicher Ideologie vom großen sowjetischen Bruder und natürlich auch frei von jeglicher Nostalgie. Diese russische Musik voller Seele und Melancholie, voller dunklem Moll und heftigsten emotionalen Ausbrüchen sei einfach zu schön, um nicht von ihr gepackt zu werden.


Dieses Zupacken hält bei Ulrike Eisenreich nun schon seit 20 Jahren an. Das sind laut Bandchronik über 800 Proben, während sie unterwegs waren zu ihren mittlerweile 600 Konzerten. Sie haben über 480 000 Kilometer zurückgelegt und in den vergangenen Jahren zwölf Musiker verschlissen. Darunter eine waschechte Opernsängerin, ein regelrechtes Prachtweib von Format. 44 Leningrad haben in den vergangenen 20 Jahren acht Alben aufgenommen, sie haben acht Kinder zur Welt gebracht und ein Akkordeon in Flammen aufgehen lassen. Und noch immer ist da das Verlangen, an Wochenenden oder nach einem harten Arbeitstag in den Tourbus zu steigen und sich auf den Weg zum nächsten Konzert zu machen.


Aber gab es in all den Jahren nicht doch die Überlegung, dieses nervenaufreibende Musikerleben aufzugeben?
„Mehr als nur einmal“, sagt Ulrike Eisenreich. Aber wie in jeder Familie gehören solche Krisen einfach dazu. „Außerdem will ich immer wieder im Bus sitzen und mich darüber aufregen, wenn wir schon wieder anhalten müssen, weil einer von den Jungs pinkeln muss.“ Das liegt dann wohl an dem legendären Wodkakonsum, den man ihnen ja nachsagt.
Ulrike Eisenreich winkt ab. Geschichten, die gern erzählt werden. Der Wodka gehört zwar noch immer dazu. Aber in Maßen. Denn ganz so jung sei man ja, trotz der 20, nun auch nicht mehr.

44 Leningrad am heutigen Samstag, 21 Uhr, im Waschhaus in der Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 13 Euro